Während ich Gülizar Kaytans Worten lauschte, erinnerte ich mich an eine Geschichte, die mir vor Jahren Xezal Bektaş erzählt hatte.
Diese Geschichte der alten Xezal Nine (Anm.: Großmutter, alte Frau) werde ich nie vergessen:
„Die türkischen Soldaten, die uns jagten, hatten nur eins im Sinn: sie wollten uns töten und mit der Wurzel ausrotten. Jeder Dêrsimer musste unbedingt getötet, alle Kurden vernichtet werden. Während einer dieser militärischen Vernichtungskampagnen flohen wir mit 35 Leuten, die meisten von uns waren Kinder, Frauen und Alte, an den Fluss Munzur. Dort, in den steilen Klippen, fanden wir in einer riesigen, 15 Meter tiefen Höhle Unterschlupf. Die Soldaten waren uns auf den Fersen, diese Erbarmungslosen wollten uns finden und töten. Sie hatten uns schon fast eingeholt. Damit sie uns nicht bemerkten, mussten wir mucksmäuschenstill sein. In unserer Gruppe war auch eine junge Frau mit ihren beiden Kindern, einem dreijährigen und einem hübschen kleinen, blauäugigen Mädchen von vier Jahren. Die Kinder hatten seit mehreren Tagen nichts gegessen, sie weinten vor Hunger. Die Soldaten kamen immer näher. Die Frau war fast wahnsinnig vor Angst, den sicheren Tod vor Augen. Sie versuchte, ihre Kinder zum Schweigen zu bringen: „Seid still! Wenn die Soldaten euch hören, kommen sie und töten uns alle!“ Vergeblich! Die Kinder hörten nicht auf zu weinen. Aller Augen waren auf die junge Frau gerichtet, als wenn sie ihr sagen wollten, sie solle entweder mit ihren Kindern verschwinden oder sie umbringen. Die Augen der Mutter verdunkelten sich, sie begann zu schluchzen. Und dann verschloss sie mit ihren eigenen Händen erst dem kleinen, blauäugigen hübschen Mädchen solange Mund und Nase, bis es sich nicht mehr regte, dann machte sie dasselbe mit ihrem wunderschönen kleinen Sohn. Das Weinen der Kleinen hatte aufgehört. Ich musste weinen, weinte lautlos in mich hinein. „Mein Gott! Warum müssen wir dies erleiden?“ fragte ich mich immer wieder. Genau in diesem Moment sahen wir einen Soldaten, der uns anstarrte, in den Händen eine Waffe. Er musste schon lange da gestanden und mit angesehen haben, wie die Mutter ihre vor Hunger weinenden Kinder aus Angst vor den Soldaten getötet hatte und musste wie erstarrt gewesen sein. Man sah ihm sein Mitleid an, es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sich niedergekniet. An seinen Gesichtszügen erkannten wir, dass er Kurde sein musste. Von unten dröhnte die Stimme seines Kommandanten: „Ist da wer? Siehst du jemanden?“ Die Stimme seines Kommandanten brachte den Soldaten zurück in die Realität, und er rief zurück: „Hier ist nichts, ich sehe niemanden.“ Schnell entfernte er sich von uns. Ganz bewusst hatte er uns nicht ausgeliefert. Wir hatten zwei wunderschöne Kinder geopfert, aber 33 Menschen waren gerettet.“
Kekil Tunç, ein Mann aus unserem Dorf, ging oft auf die Jagd und an Winterabenden erzählte er uns dann von seinen Jagdabenteuern. Ich habe noch lebhaft in Erinnerung, dass er einmal ein kleines braunes Bärenjunges bei sich aufzog und dass wir immer mit ihm spielten. Eine Geschichte, die er uns erzählte, werde ich niemals vergessen, und jedes Mal, wenn ich an das, was Xezal Nine erzählt hat, denke, dann muss ich an Kekil Tunçs Jagdgeschichten denken.
Die Jagdgeschichte von Kekil Tunç aus Dapag:
„Diesmal waren wir an den Berghängen von Bingöl unterwegs, auf der Jagd nach einer Bärin und einem Bären, wegen ihres braunen Fells. Wir verfolgten sie bereits seit zehn Kilometern. Mein Freund machte schon schlapp und blieb hinter mir zurück. Die Bärenmutter hatte zwei Jungen bei sich und war deswegen nicht so schnell wie der Bärenvater. Sie musste immer wieder auf die Kleinen warten. Wir verloren den Bärenvater aus den Augen, er war schneller. So waren wir hinter der Bärenmutter her. Endlich hatte ich sie mit ihren Jungen an den Rand eines steil abfallenden Felsens getrieben, sodass sie weder aus noch ein wusste. Sie wusste, dass es kein Entrinnen gab, einen Ausweg aus der Klemme gab es nur auf meiner Seite. Ich lud mein Gewehr und zielte. Zwischen uns lagen nur acht oder neun Meter. Und so, in der Hand mein Gewehr, geladen, beobachtete ich die Bärenmutter und ihre Jungen. Die Bärin sah, wie ich mit meiner langen, doppelläufigen Flinte auf sie zielte. Irgendwie traurig blickte sie erst auf mich, dann auf meine Flinte und dann auf ihre Jungen. Den Finger am Abzug – „Habe ich schon abgedrückt? Soll ich abdrücken?“ Die Sekunden dehnten sich ins Unendliche. Die Bärin verstand genau: Wenn ich abdrückte, würde sie sterben. Plötzlich geriet sie in Wut, begann laut zu brüllen. Die gegenüberliegenden Felsen warfen das Echo ihres gewaltigen Gebrülls zurück. Und vor meinen Augen packte sie nacheinander ihre Jungen und schlug sie solange gegen die Felsen, bis sie tot waren – vielleicht, weil sie nicht wollte, dass sie mir in die Hände fielen, nachdem ich sie getötet hätte. Ich war vollkommen verblüfft darüber, ein solches Ausmaß an menschlichem, geradezu ethischem Verhalten bei einem Tier zu sehen. Ich schämte mich vor mir selbst. Ich gab meinen Plan, die Bärin zu töten, auf. Aber dann sah ich die wütende Bärin, die ihre Jungen selbst getötet hatte: Sie stand hoch aufgerichtet auf ihren Hinterbeinen und schien zu sagen: „Hier bin ich, was erwartest du? Komm, töte mich!“ Sie kam drohend auf mich zu. An Flucht war nicht zu denken. Wenn ich geflohen wäre, hätte die Bärin mich eingeholt, der Abstand zwischen uns war zu gering. Sie hätte mich wie ihre Jungen gepackt und zerrissen. Ich musste schießen. Zwei Meter vor mir brach die Bärin zusammen. Ich habe sie getötet. Ich habe ihr das Fell abgezogen und es nach Hause gebracht.“
Unterstützt von den Supermächten der Welt gingen in der Zeit auf Befehl des Faschisten Mustafa Kemal die türkischen Streitkräfte auf eine Jagd ganz anderer Art, sie gingen auf Menschenjagd.
Heute verstehe ich, warum die jungen kurdischen Mütter auf der Flucht vor den türkischen Soldaten in den Bergen von Dêrsim, auf den Almen, in den Dörfern und am Fluss Munzur lieber ihre kleinen Kinder töteten, bevor sie in die Hände der Feinde fielen, genau wie die Bärenmutter es gemacht hatte. Ich verstehe auch, warum sich junge Mädchen wie Adler von den Klippen in den Tod stürzten.
Das zivilisationszerstörerische türkische Militär nämlich führte aus, was einstmals in Saloniki in alter Golem-Tradition entwickelt worden war: die alteingesessenen Völker Anatoliens sollten ausgerottet, das Gebiet türkisiert und so zu einem Brückenkopf für den Staat Israel und mit dem der Vorposten der Westlichlien kulturzerstörerischen Zivillisation im Nahen Osten werden. Mustafa Kemal war das Ziehkind des kabbalistischen Kreises um Schimon Zwi, er machte Karriere als Offizier innerhalb des osmanischen Militärs und wurde zum Menschenjäger, der Jagd auf die Menschen von Dersim machte.
Azad Ronî