Die Berliner „Dersim-1937-1938-Konferenz“ und die Völkermorde an den Kurden


Am 3. Dezember 2017 stellte der Autor Azad Roni in den Räumen der Berliner Dersim-Gesellschaft sein neuestes Buch vor.

Die Anwesenden wurden von Müslüm Karataş, dem Vorsitzenden der Dersim-Gesellschaft, begrüßt, danach las Dorothee-Charlotte Eren, die für die Übersetzung ins Deutsche verantwortlich zeichnet, zunächst ein Kapitel aus Ronis Werk: „Die Hinrichtung“, gefolgt von den Erinnerungen der Zeitzeugin Gülizar Kaytan.

Anschließend hielt Azad Roni folgende Rede:

Şima pıro xêr ame! Hoş geldiniz! Herzlich willkommen!

Ich möchte mich hiermit bei dem Vorsitzenden der Berliner Dersim-Gesellschaft, Müslüm Karataş herzlich bedanken.

Viele Wissenschaftler, Historiker, Schriftsteller, Juristen, Journalisten, Zeitzeugen haben Anteil an der Entstehung meines Buches. Meine Aufgabe war es, die Ergebnisse der Untersuchungen, Berichte, Wahrnehmungen und Erinnerungen aller dieser Menschen zusammenzutragen und zu veröffentlichen. Meine Arbeit bestand darin, nach einer Antwort auf die Frage, wer die Drahtzieher des Völkermords von Dersim waren, zu suchen und einen Zusammenhang zwischen den anderen Genoziden des 20. Jahrhunderts und dem von Dersim aufzudecken.

Bei der Lektüre einer Schrift, von Akademikern im ausgehenden 19. Jahrhundert verfasst, sträubten sich mir buchstäblich die Haare. Damals hatte es noch nicht die Völkermorde der Zeit zwischen den Weltkriegen gegeben, weder die Völkermorde an den Armeniern, Griechen, Assyrern, Kurden, Aleviten, Pontus-Griechen, Juden waren noch nicht verübt worden, noch die Massaker von Koçgiri, Zilan und Dersim. Und in genau dieser Zeit nahm der türkische Zeit allmählich Konturen an.

Zig Jahre zuvor hatten die Zöglinge der Religionsschulen, die Gründer des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ und zionistische Kader in den sog. „Protokollen“ und „Rotbüchern“ Ideen entwickelt, wie im Nahen Osten ein türkisches Großreich und ein Groß-Israel installiert werden könne. Im Fokus standen die aus dem deutschen Nationalismus hervorgegangenen Nazis und ihr Ziel, die „Raubtiere“ (d.i. Sinti, Roma und Juden) aus Europa zu vertreiben und nach deren Vorbild eine Partei der Jäger zu gründen.

Ich zitiere:

„Wenn wir heute im Nahen Osten die Errichtung eines Großreiches wünschen und planen, dann dürfen wir dies nicht im Stil der Seldschuken oder der Osmanen vor tausend Jahren tun. Nicht wenige Zionisten und Anhänger des Komitees ziehen es vor, zurück zu kehren zu den Anfängen der Zivilisation, aber das ist schlicht nur dumm. Nehmen wir einmal an, ein Land muss Raubtiere vernichten. Nun können wir doch nicht wie die Europäer damals im 5. Jahrhundert die Ärmel hochkrempeln und loslegen. Wir müssen wie die Türken und Mongolen in Zentralasien uns mit Pfeil und Lanze gürten und allein auf die Bärenjagd ziehen. Wir müssen eine große, schlagkräftige Partei der Jäger gründen und die Tiere insgesamt jagen und am Tag, an dem sie endgültig vernichtet werden sollen, Bomben auf sie werfen.

Mit ihrem Gold regieren die Supermächte die Welt. Sie zetteln Kriege an, die von Stellvertretern, in deren Gehirne sie diese schrecklichen Gedanken gesenkt haben, geführt werden, deren einziges Ziel die Vernichtung der anderen ist. Gegen Mustafa Kemal, dem Begründer des völkermörderischen faschistischen Regimes, sind seine Schüler, die Hitlers, Mussolinis und Francos, nahezu Waisenknaben.

Von eigentlicher Bedeutung ist aber, dass eine Gesellschaft ihre Unabhängigkeit, ihre Kräfte zur Selbstverteidigung und ihre eigene Kultur entwickelt, und zwar bevor die bösen Geister, wie oben beschrieben, über ihre Henker bis in die feinsten Kanäle der akademischen Gehirne hinein dieses Gedankengut verbreiten können. Dann kann man die Herrschaft der Vampire, der Schizophrenen, der Mörder, Räuber und Durchgeknallten verhindern. Wenn es heute möglich ist, dank der Wissenschaft und Technik Licht ins Dunkel zu bringen, wahrhaft demokratische Organisationen zu gründen, dann wird man sie besiegen, diese Kräfte, die heimlich ihr Werk der Plünderung und der Völkermorde verrichten.

Auf Seite 14 (S.13 in der deutschen Übersetzung) meines Buches finden Sie folgenden Text:

„Keines der Mitglieder des Komitees war gebürtiger Türke, aber sie alle waren vom Virus des türkischen Nationalismus infiziert. Ihre Nachkommen, die sich in den Jahren 1909 - 1910 nachts in den Clubs von Saloniki trafen, wurden vereinnahmt gemäß den vor langer Zeit entstandenen Plänen und Projekten der semitischen Händler.“

Wir wollen nun ein Auge auf das herzzerreißende Drama von Dersim werfen, ein Drama, dessen Text Jahrzehnte zuvor unter dem Titel „Eine große und schlagkräftige Partei der Jäger“, vor der Gründung des modernen, kapitalistischen Groß-Reichs geschrieben wurde.

Ich werde nun das Kapitel „Die Menschenjäger“, Seite 256 (S. 297, dt.) lesen.