BI KILMÎYE HEYATÊ DR. SIVANÎ Û LAWIKA MAYA EY ,Vate36, B. SÎLAN Dr.

Mehmet Bayrak

„Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, zunächst möchte ich Gıyasettin Sayan, Mitglied des Abgeordnetenhauses für Die Linke, dem Vorsitzenden des Berliner Abgeordnetenhauses, Walter Momper, und Haydar Işık, dem Vorsitzenden des „Vereins zur Wiedererrichtung Dêrsims” danken. Dank ihrer Unterstützung kann diese Konferenz stattfinden.

Es gibt bei uns ein Sprichwort: „Eine gute Tat wiegt 1000 Schlechtigkeiten auf”. Die Gültigkeit dieser Volksweisheit zeigte sich wieder einmal auf frappierende Weise, als der stellvertretende Vorsitzende der CHP, Onur Öymen, vor dem Parlament eine Rede gegen die Bearbeitung der Kurdenfrage hielt.

Was aber Öymen gesagt hatte, war Folgendes:

„Man sagt, die Mütter sollten nicht mehr weinen, aber leider haben die Mütter in diesem Land schon sehr viel geweint. Vom Anfang unserer Geschichte an haben wir viele Tote zu beklagen. Im Kampf um Çanakkale fielen 200 000 Soldaten, alle von ihren Müttern beweint. Niemand ist aufgestanden und hat gesagt, lasst uns diesen Krieg beenden. Haben im Befreiungskrieg, nach dem Aufstand von Şeyh Sait, nach dem Aufstand von Dêrsim oder auf Zypern etwa keine Mütter geweint? Hat da jemand gesagt, lasst uns aufhören mit dem Kampf? Sie sind die Ersten, die so etwas sagen. Weil Sie nämlich nicht den Mut haben, gegen den Terror anzukämpfen.“

Auf Kritik reagierte er mit den Worten, ob es denn „verkehrt“ sei, „Atatürk zu verteidigen“, er selbst verteidigte sich mit folgenden Worten:

„Das war die Politik von Atatürk, ich habe lediglich seine Politik verteidigt. Wer sich gegen diese Worte stellt, ist eindeutig gegen die Politik Atatürks!“

Man versucht, die Offensive gegen Dêrsim mit dem Sieg über Griechenland gleichzusetzen

Einer der Lehrer, die mich an der Fakultät unterrichteten, war ein Onkel von Öymen, Hıfzırrahman Raşit Öymen, von ihm wusste ich, dass er am Massaker von Dêrsim als Reserveoffizier teilgenommen hatte. In gewisser Weise hatte Öymen Recht, denn es war tatsächlich Atatürks ureigene Politik. Am 26. August 1938, als der Oberste Heerführer, Marschall Fevzi Çakmak, Atatürk die freudige Botschaft vom vollendeten Massenmord in Dêrsim überbringen ließ, war genau 16 Jahre zuvor, nämlich am 26. August 1922, der Große Sieg über Griechenland errungen worden. Also sah man eine Parallele zwischen beiden Ereignissen: das Massaker von Dêrsim wurde mit dem Großen Sieg verglichen. Mustafa Kemal soll ein Telegramm folgenden Inhalts an ihn geschickt haben:

„Unser Militär hat bewiesen, dass es in hohem Maße und zu jeder Zeit das Manöver mit gebührender Achtung und großer Energie zur Sicherheit der Nation zu Ende gebracht hat. Mein Herz ist erfüllt von Hochachtung und Dankbarkeit gegenüber der türkischen Armee, der es gelungen ist, an diesem Jahrestag den Sieg zu erringen. Ihre aufrichtigen und edlen Gefühle, die sie quasi als Dolmetsch meinen ruhmreichen Waffenbrüdern erwiesen hat, begeistern mich, die Erinnerungen an jene Tage sind lebendiger denn je.

Da Sie an der Spitze standen, möchte ich Ihnen von Herzen meine Liebe und Verehrung ausdrücken. Möge es Ihnen gelingen, den bisher bereits erreichten Erfolgen weitere hinzuzufügen.

Kemal Atatürk“ [1]

In der Ausgabe der Zeitschrift “Elazığ Halkevi Dergisi” vom Juni–September 1938 ist eine Erklärung von Celal Bayar, dem damaligen Ministerpräsidenten, zu lesen. Hier teilt er mit, er habe persönlich an den Kriegshandlungen in Dêrsim mit drei modern ausgerüsteten Korps und zwei Infanteriedivisionen teilgenommen und so erfolgreich die Operation zu Ende gebracht. Er habe sich dessen gerühmt und dem Chef, Atatürk, seine Ansichten unterbreitet.

1986 bat mich Kemal Kılıçdaroğlu, der heutige Vorsitzende der CHP, vermittelt über einen Freund, um Quellenmaterial zu Dêrsim; ich übersandte ihm alle Veröffentlichungen, die ich in meinem Buch zu diesem Thema angeführt hatte. Später erfuhren wir dann, dass Kılıçdaroğlu zur selben Zeit zusammen mit einem befreundeten Journalisten in Bursa mit İhsan Sabri Çağlayangil, dem damaligen Polizeichef, der die Hinrichtungen von Seyid Rıza und seinen Freunden organisiert hatte, ein Interview gemacht hatte. Den Inhalt dieser interessanten Reportage hatte er allerdings bis vor zwei Jahren der Öffentlichkeit vorenthalten.

Und was sagt Çağlayangil in diesem Interview? „Sie hatten in Höhlen Zuflucht gesucht. Die Soldaten ließen Giftgas in die Höhlen, verschlossen die Eingänge und töteten sie, wie man Ratten tötet. Sie haben die Kurden von Dêrsim umgebracht, die jüngsten Opfer waren sieben, die ältesten siebzig Jahre alt.“

Und so ist es unbedingt nötig, die auch nach 72 Jahren nicht verheilten Wunden heute wieder genau zu untersuchen, damit dieselben Wunden nicht wieder aufbrechen!“

In diesem Moment hält Mehmet Bayrak sein Buch über die Massaker „DÊRSIM-KOÇGİRİ” in die Höhe, deutet auf in arabischer Schrift gedruckte Wörter und erläutert den 250 Konferenzteilnehmern die Bedeutung des Textes und fährt fort:

„Es ist möglich, für die Darstellung der neueren Geschichte von Dêrsim arabische Begriffe zu verwenden, Begriffe wie „Tedip“ (Züchtigung), „Tenkil“ (Bestrafung), „Taqtil“ (Mord), „Tehcir“ (Zwangsumsiedlung), „Temsil“ (Assimilation), „Temdin“ (Zivilisierung) und „Tasfiye“ (Liquidierung).[2]

Der Ursprung für alle die Massaker in Kurdistan, sei es in Dêrsim, Zilan, Ağrı oder an anderen Orten, ist in dem Bestreben der „Partei für Einheit und Fortschritt“, seinerzeit eine ethnisch-religiöse Säuberung und eine Verschmelzung des Türkentums mit dem Islam forcieren zu wollen, zu sehen. Unter allen Historikern, die Forschungen zu dem Thema betrieben haben, herrscht Konsens darüber, dass die Massaker von langer Hand äußerst sorgfältig geplant und alle Eventualitäten ins Auge fassend vorbereitet worden waren. Diese Politik des Massen- und Völkermordes gedieh besonders in der Zeit, in der die „Partei für Einheit und Fortschritt“ an der Macht war, und nach 1909 begann sie sich in viel schwerer wiegendem Maße breit zu machen. Man kann sagen, dass der Völkermord von Dêrsim unter dem Unstern der sieben unglückbringenden „T“ stand: Tedip, Tenkil, Taqtil, Tehcir, Temsil, Temdin und Tasfiye.

Nach dem 19. Jahrhundert nahm die Kurdische Bewegung einen nationalen Charakter an. Danach, und insbesondere seit dem 20. Jahrhundert, begann unter der Führung der „Einheit und Fortschrittspartei“ gezielt die Türkisierung der Kurden, und hier knüpften die Kemalisten unmittelbar an. Die alten Ziele der gewaltsamen Türkisierung wurden in neuem Gewand verfolgt. Dies mag jemanden, der hiervon nichts weiß, befremden und in Erstaunen versetzen, allgemein, was die Geschichte Kurdistans betrifft, insbesondere aber im Hinblick auf die jüngsten Entwicklungen in Dêrsim. Allerdings ist das, was jetzt geschieht, alles andere als überraschend. Selbst, wenn man nicht von einer Wiederholung der Geschichte sprechen will, so kann man doch in Bezug auf die kurdische Frage behaupten, hier sei der heimliche Plan einer totalen Liquidation, im Schatten der Waffen, nur zur Hälfte verwirklicht worden.

Warum?

1.-Es ist bekannt, dass innerhalb der alevitisch-kurdischen Gesellschaft Dêrsim an oberster Stelle stand, ebenso weiß man, dass es von Anfang an kein gutes Verhältnis weder mit den Osmanen noch mit den Safawiden gab. Da dies dem türkischen Militär bekannt war, erschien 1937 im „Askeri Mecmua“ (Militär-Journal), herausgegeben vom Großen Generalstab, ein Ergänzungsband unter dem Titel „Revolten in Dêrsim in osmanischer Zeit“, des Inhalts: drei große Aufstände in Dêrsim.

2.-Zwischen 1919 und 1921 entstehen innerhalb der demokratischen „Kurdischen Föderation“ Vereinigungen wie z.B. „Erhebung Kurdistans“, angeführt von Colikzade Mehmet Nuri, dem Führer der Föderation von Koçgiri Alişan Bey, dessen Bruder Haydar Bey und Alişer Bey, alles aufgeklärte, gebildete Persönlichkeiten. Unter der Führung der Koçgiri-Konföderation kommt es zu Volkserhebungen. Zur selben Zeit gab es außerhalb des Gebiets von Koçgiri, „Südwest-Dêrsim“ genannt, viele aktive Mitglieder in den der Aufklärung verpflichteten, demokratischen, kurdischen Vereinigungen, ich nenne nur Sarıoğlu Hüseyin Hüsnü (Apotheker), Dêrsimli Halil Bey (Oberst), Dêrsimli Necip (Arzt) und Sarısaltıklı Dêrsimli Halil und viele andere Kurden aus Dêrsimli.

3. Nach der Bombardierung von Koçgiri gelang es dem kemalistischen Regime, die Bevölkerung von Dêrsim aus den Unruhen von 1925 herauszuhalten. Ihr erklärtes Ziel war, eine Unterstützung Koçgiris durch die sunnitischen Kurden zu verhindern. Um dies zu erreichen, nutzten sie die religiösen Parolen Şeyh Saids. Nach der Niederschlagung der Unruhen, und nachdem Abgeordnete des ersten Dêrsim-Parlaments wie Hasan Hayri Bey erhängt worden waren, bezog man sich außerdem auf die Aussagen von Diyap Ağa und Mıço Ağa, beide erklärte Gegner des Aufstands, beide Abgeordnete im Parlament der türkischen Republik. Damit nicht genug, 1926 ließ man mit Hilfe der Gouverneure von Elaziz und Malatya, Ali Cemal (Bardakçı) Bey und Bozan Bey, an die dreißig Stammesführer aus Dêrsim nach Ankara bringen, wo sie mit Mustafa Kemal zusammentrafen. Genau zu diesem Zeitpunkt sollten Aleviten und Kurden ihrer Identität vollständig beraubt und auch Dêrsim unmerklich einer Assimilation unterworfen, ja, darüber hinaus liquidiert werden. Der Zeitpunkt war gekommen, Dêrsim von den anderen kurdischen Gemeinden zu isolieren und dann, wenn die Zeit reif sein würde, zu liquidieren. Dies war das Fundament der geheimen Politik. Schließlich, wenig später nach der Niederschlagung verschiedener Erhebungen, kam die Reihe an Dêrsim und fast alle der 1926 nach Ankara beorderten Stammesführer wurden während der Ereignisse von 1937/38 ermordet.

Es folgt eine von Atatürk bestätigte Liste der Namen der Dêrsimer Stammesführer mit Vermerken zu Art, Zeitpunkt und Ort ihrer Liquidation:

1.Miço Ağa (Abbasan-Stammesführer), 1938 in Dêrsim erschossen

2.İbrahim Ağa (Pezgoran-Stammesführer), 1938 verbrannt

3.Kangozade M Ali Ağa (Karabal-Stammesführer), 1938 ermordet

4.Bozan Bey, Gouverneur von Malatya, nahm an der Versammlung als Vertreter Malatyas teil

5. Ali Cemal Bey Bardakçı, Gouverneur von Elaziz

6. Cemşii Ağa (Ferhedan-Stammesführer), 1938 ermordet

7. Ibrahim Ağa (Abbasan-Stammesführer), 1938 ermordet

8. Kamber Ağa Yusufan-Stammesführer), 1938 in Elaziz ermordet

9. Zeynel Ağa (Kırgan-Stammesführer), 1938 in Dêrsim ermordet

10. Koco Ağa (einer der Karabal-Stammesführer), 1938 in Dêrsim ermordet

11. Koco Ağa (einer der Albeyan-Stammesführer), 1938 in Dêrsim ermordet

12. Haydar Efendi (Karabal-Stamm), pensionierter Offizier, 1938 nach Istanbul vertrieben

13. Hasan Efendi (einer der Beran-Stammesführer), 1938 nach Istanbul vertrieben

14. Dr. Nuri Dêrsimi (Seydan-Stamm), 1937 nach Syrien geflohen

15. Cafer Ağa (Pevangan-Stammesführer), 1938 in Dêrsim ermordet

16. Süleyman Ağa (einer der Pevangan-Stammesführer), nach Antalya vertrieben, dort verstorben

17. Yusuf Ağa (Bamasoran-Stammesführer), 1936 zusammen mit 30 Menschen unter einer Lawine begraben und verstorben

18. Yusuf Ağa (Bahtiyaran-Stammesführer), 1936 zusammen mit 30 Menschen lebendig begraben.

19. Ali Ağa (Alan-Stammesführer), 1938 in Dêrsim ermordet

20. Veli Haki Rejiki (Şadyan-Stammesführer), in Dêrsim geblieben

21. Mustafa Ağa (Kırgan-Stammesführer), 1938 ermordet

22. Hıdır Ağa (Soran-Stamm), 1938 ermordet

4. Um den 1925 entwickelten Plan zur Neuordnung der Ostprovinzen durchsetzen zu können, mussten die Felder und Dörfer in den anderen kurdischen Gebieten wie Dêrsim dem Erdboden gleich gemacht und die Bewohner in bestimmten Gegenden konzentriert angesiedelt werden. Die Durchsetzung dieses Plans kam nach dem Putsch von 1960 wieder auf die Tagesordnung.

1921 wurden unter Sakallı Nureddin Paşa in der Provinz Koçgiri mehr als 140 Dörfer zerstört und zahllose Menschen getötet; sein Schwiegersohn, General Abdullah Alpdoğan, der Schlächter von Dêrsim, war in Dêrsim in noch größerem Ausmaß „erfolgreicher“.

Während der Ägide, in der er das Gouverneursamt und die Kommandantur von Tunceli inne hatte, erschien ein Handbuch zur Durchführung des Dêrsim-Massakers, bis hin zu Anweisungen, wie Dörfer und Wälder in Brand zu setzen seien. (Der Titel dieses geheimen Büchleins lautet: Verfolgung räuberischer Banden, Durchsuchung der Dörfer und Einsammeln von Waffen in der Provinz Tunceli – ein Führer, 1938.)

Von den mehr als 400 Dörfern und Feldern in Dêrsim wurden bis heute mehr als 300 in Brand gesetzt oder verwüstet. Die Regierung hat also 1938 sogar ein Büchlein herausgegeben, um dies alles durchzuführen. Heute besteht keine Notwendigkeit mehr, wie damals, Reisig zu sammeln um damit die Häuser anzuzünden, es ist viel leichter geworden.

5. Einige Jahre vor dem Dêrsim-Massaker von 1938, wahrscheinlich 1934, erschien ein geheimer „Dêrsim-Report“, 100 Exemplare davon waren unter strenger Aufsicht des Oberkommandos der Gendarmerie gedruckt worden. In diesem „Dêrsim-Report“ werden Kurden und Aleviten in einem Atemzug genannt und folgendermaßen beschrieben:

„Wenn Yavuz Sultan Selims Zorn nicht entbrannt wäre, gäbe es in unserer schönen Türkei heute vielleicht keine Sunniten. (…) Hätte Yavuz die schroffen Berge von Dêrsim überwunden, so sähen wir heute Dêrsim auf einem gänzlich anderen Weg, sowohl in materieller als auch immaterieller Hinsicht“.[3]

In diesem Buch dreht sich alles um den „Dêrsim- Report”; die Berichte sowohl des Militärs als auch der Zivilpersonen, die seit den 1860er Jahren an den Kriegen gegen Dêrsim, bzw. der Verwaltung der Provinz aktiv beteiligt waren, nehmen großen Raum ein. So wurde das Wesentliche der Angriffe auf Dêrsim genau definiert, ebenso wurde nach der Zerstörung Dêrsims eine genaue Liste erstellt, aus der man sehen konnte, welche der Stammesführer überlebt hatten und an welche Orte im Westen sie vetrieben worden waren. Den Mittelteil des Buches nehmen Pläne und Geländeskizzen des Militärs ein, sie beziehen sich auf bereits durchgeführte und noch in der Planung befindliche militärische Operationen. Diese Pläne und Skizzen wurden von Atatürk persönlich angefertigt, sie sind gegenwärtig in der Atatürk-Villa in Trabzon ausgestellt.

Es ist bekannt, dass nach 1925 gemeinsam mit den kurdischen Nakşibendi-Derwischklöstern auch die Derwischklöster der Aleviten geschlossen wurden; lediglich der Druck auf die Bektaşi-Klöster war 1927 relativ gering; die alevitisch-kurdischen Klöster in Dêrsim und Umgebung jedoch wurden für immer verboten. Unmittelbar nach den Schließungen wurde mit dem Bau von Moscheen begonnen. Dass diese Maßnahmen hauptsächlich Dêrsim mit seinem hohen alevitischen und kurdischen Bevölkerungsanteil betrafen, ist wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem oben Angeführten zu sehen.

Der Staat und Dêrsim

Die Schriften „Derebeyi und Dêrsim” und „Die Zivilisation hält Einzug in Tunceli” von Hakkı Naşid Uluğ, wie die anderer regierungstreuer Spitzel, Schriftsteller und Journalisten von offizieller Seite publiziert, haften fest im Gedächtnis aufgeklärter Dêrsimer und Türken. An dieser Stelle muss hinzu gefügt werden, dass eine ganze Flut von Veröffentlichungen, gefördert vom Staat, hereinbrach. Niyazi Ahmed Banoğlu, ein Journalist und Spion, anwesend beim Massaker von Dêrsim, veröffentlichte eine Schrift „Das wahre Gesicht des Aufstands von Dêrsim“, Nazmi Sevgen, der als Oberst das Massaker angeführt hatte, schrieb „Dêrsim und die Zazas“,[4] Hasan Reşit Tankut, Berater für „Ruhe und Ordnung in den Ostprovinzen” und einer der Berater Atatürks, verfertigte eine „Soziologische Studie zu den Zazas”, der Volkskundler Ferruh Arsuner untersuchte „Die Volkslieder von Tunceli-Dêrsim und die Pentatonik”, ebenso unwissenschaftlich wie alle anderen oben genannten. Drei staatstreue Romane sind noch zu erwähnen: „Dêrsim” und „Şirzi“ von Barbaros Baykar und „Kopo” von Mustafa Yeşilova.

Nach dem Aufstand von 1925 wurde Ali Cemal (Bardakçı) zum Gouverneur von Diyarbakır ernannt, während des Massakers war er Gouverneur von Elazığ gewesen.

Sollten jemals seine Erinnerungen „Drei Jahre in Dêrsim“ aufgefunden und gedruckt werden, so wären sie meines Erachtens ein interessantes Glied in der genannten Kette. Die oben erwähnten Erinnerungen und der vor 1998 im Kaynak-Verlag, später dann im İletişim- Verlag erschienene „Dêrsim-Report“ wurden zusammen mit den Dokumenten, derer man offen oder geheim habhaft werden konnte, unter dem Titel „Die Dêrsim-Berichte und Dokumente“ (İstanbul, 1991) von Faik Bulut herausgegeben. Wir haben unsererseits, da dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen ist, mehrere Geheimdokumente in den „Dokumenten zur Kurdologie“ veröffentlicht. Zum selben Thema findet sich ein weiterer Beitrag: „Zeugen und Dokumente – Widerstandsbewegungen in Dêrsim“ (İstanbul, 1995).

Aus diesen Berichten geht klar hervor, dass in Anbetracht der alevitisch-kurdischen Identität Dêrsim zunächst von den übrigen kurdischen Gebieten isoliert, und dann erst, wenn die Zeit reif sein würde, „auf Linie gebracht und liquidiert” werden sollte. M. Kemal, damals im Rang eines Kommandanten des in Diyarbakır stationierten Korps, beförderte Hasan Hayri Bey zum Kommandanten seiner Leibgarde, die ausschließlich aus Kurden bestand. M. Kemal beorderte 1923 Hasan Hayri Bey telegrafisch nach Lausanne, wo dieser in kurdischer Nationaltracht als Abgesandter von Dêrsim den Verhandlungen beiwohnte. Zwei Jahre später, 1925, ließ er ihn zum Tode verurteilen; desgleichen wurden fast alle Mitglieder einer Abordnung Dêrsimer Stammesführer, die M. Kemal zu einem Treffen nach Ankara geladen hatte, zwischen 1937 und 1938 hingerichtet. Es gelang ihm, Dêrsim 1925 aus den Unruhen fernzuhalten und es von den anderen kurdischen Bewegungen zu isolieren, schließlich war es die „letzte Eiterbeule”, die es galt, auszumerzen – dies ist nur ein Beispiel von vielen.

Wie wir oben bereits festgestellt haben, verfolgte das kemalistische Regime die gleichen Ziele wie die Anhänger der „Einheit-und-Fortschrittspartei”, diese wiederum fußte auf dem Gedankengut der osmanischen Regierung. Im geheimen „Dêrsim-Report” Anfang der 1930er Jahre sind minutiös sowohl die Vorbereitungen für das Massaker von Dêrsim, als auch eine genaue Planung für die Zeit nach dem Massaker festgehalten: welche Stämme in welchen Tälern und Dörfern der Westtürkei angesiedelt werden sollten. Es gab Geheimagenten, die im Gebiet von Dêrsim, verkleidet als Schäfer, spionierten; wieder andere mischten sich unter die Vertreter des Volkshauses von Elazığ und unter die Leute, vorgeblich, um ethnologische und volkskundliche Studien zu betreiben, in Wahrheit erlangte man auf diese Weise genaue Kenntnis über die materiellen Verhältnisse, Bevölkerungszahl und Anzahl der Waffen in den Haushalten.

Im Licht dieser vorangegangenen Untersuchungen erscheint folgende Rede, die Mustafa Kemal 1936 zur Eröffnung des Parlaments hielt, geradezu wie eine Vorankündigung des Massakers von 1937/38. In dieser Rede bezieht er sich auf ein Manöver, das er 1936 abgehalten hatte:

„Meine teuren Freunde, wenn es eine Frage von größter Bedeutung in unserem Lande gibt, so ist es die Dêrsim-Frage. Es ist unumgänglich, zu welchem Preis auch immer, diese tiefe Wunde und widerliche Eiterbeule herauszuschneiden und mit der Wurzel auszureißen. Um in dieser Angelegenheit zur schnellst möglichen Tat schreiten zu können, müssen der Regierung umfassende Vollmachten erteilt werden.“

Während das Massaker noch in vollem Gange war, behaupteten die kemalistischen Schreiberlinge, dass, „wenn man nicht mit Güte und Barmherzigkeit, den höchsten Gefühlen der wahren Menschlichkeit, vorgegangen wäre, hätte man Dêrsim binnen 15 Tagen auslöschen können. (…) Die letzten Ereignisse in Dêrsim sind ein Manöver unseres Militärs gewesen und für alle Übelwollenden eine Lehre.“[5]

Es gilt, in dieser Angelegenheit einen interessanten Aspekt zu erwähnen: Obwohl Sabiha Gökçen, Atatürks Adoptivtochter und gebürtige Armenierin, zu Protokoll gegeben hatte, dass sie persönlich als Pilotin Bomben auf Dêrsim abgeworfen habe, verbreitete der türkische Geheimdienst, Atatürk „habe krankheitshalber das Bett gehütet und deswegen von keinem Massaker gewusst“. Diese merkwürdigen Lügen, die der Gouverneur und das Heeresoberkommando verbreiteten, sind ein Indikator für die tiefgreifende Türkisierung.

Atatürk schickt am 1. November 1938, nur neun Tage vor seinem Tod, über Ministerpräsident Celal Bayar dem Parlament eine Nachricht, in der er die Beendigung des Massakers erwähnt: „Innerhalb kurzer Zeit ist es dank planvollen Vorgehens gelungen, die seit vielen Jahren andauernden und zunehmend gewalttätigeren räuberischen Überfälle in Tunceli für immer zu unterbinden. Vorkommnisse dieser Art in dieser Gegend wird es nie wieder geben, so wird es dereinst in den Geschichtsbüchern stehen“. [6]

1926 hatte Mustafa Kemal im Gespräch mit dem Künstler und Journalisten Emile Hildebrand folgendes gesagt:

„Immer, wenn sich in Kurdistan und in den anderen Provinzen Zentralanatoliens Widerstand gegen die Staatsgewalt regte, habe ich ihn mit eiserner Faust niedergeschlagen. So habe ich einmal 60 ihrer Anführer im Morgengrauen gemeinsam aufhängen lassen. Diese Elemente (Kurden) haben ihre Lehre erhalten und werden ihre Waffen nie wieder gegen mich erheben!“

Kemal bezieht sich hier auf den nationalen kurdischen Widerstand von 1925. Da ihnen die Anerkennung verweigert wurde, hatten die Kurden 1923 damit begonnen, sich zu organisieren. 1924 kursierte folgender Spruch: „Wenn ein türkisches Bajonett zu sehen ist, ist es aus mit dem Kurdentum!“. Unter dem Eindruck dieser Bedrohung war es nur realistisch, wenn es 1925 zum offenen Widerstand kam. M. Kemal verschwieg allerdings seinem Schweizer Gesprächspartner, dass er damals nicht nur die Stammesführer hatte erhängen lassen, sondern auch Hunderte von Familien auslöschen, Tausende Häuser niederreißen und mehr als 15 000 Menschen ermorden ließ. Mustafa Kemals „Eiserne Faust“ wurde abgewandelt in „Die Bronzefaust, die auf Dêrsim niederging“ abgewandelt – gemeint war Abdullah Alpdoğan, der „Schlächter von Dêrsim“. So kam es, dass aus Dêrsim „Tunc-eli“ wurde. (Anm.: türk. „tunç“ = „Bronze“; türk. „el“= Hand, Faust, d.i. Faust aus Bronze).

Wir müssen an dieser Stelle mit Nachdruck betonen: Das, was 1937/38 in Dêrsim geschehen ist, war nicht die Niederschlagung eines Aufstands, sondern in Wahrheit ein Massaker und Abschlachten. Und dennoch, trotz all des Schrecklichen, von dem oben die Rede war, erinnern wir uns noch einmal an die Worte von Mehmet Nuri Dêrsimi, dem großen kurdischen Patrioten: „Seit Jahrhunderten hat man uns besiegt, uns unterdrückt – das ist wahr. Aber mindestens so wahr ist auch, dass wir niemals aufhören werden, uns zu widersetzen!“

Reformierung des Ostens und Assimilation Dêrsims

Die Lage Dêrsims während der Zeit, als 1925 der geheime „Plan zur Reformierung des Ostens“ entwickelt wurde, lässt sich in folgender Weise beschreiben:

„Dêrsim unterscheidet sich wesentlich von den anderen Gemeinden: Streitigkeiten werden in eigener Regie bereinigt, der Zusammenhalt der Stammesführer untereinander geht über das übliche Maß hinaus. Der Umstand, dass die meisten Einwohner die türkische Sprache beherrschen, ist von großer Bedeutung, obwohl die Dêrsimer Kurdisch sprechen und die Kurden sich gegen das Alevitentum stemmen. Die Dêrsimer sind, genau wie alle anderen in der Gegend, mit Feuerwaffen ausgerüstet. Da bis heute keine wirksamen Strafen verhängt worden sind, erscheint es notwendig, sie mit harter Hand zu regieren, besonders im Hinblick darauf, dass die feindlichen Handlungen von 1916 ungestraft blieben.“[7]

In einem Geheimbericht, bezüglich des „Reformplans“ heißt es: „Die Stämme von Dêrsim behaupten, aus Horasan eingewanderte alevitische Kurden zu sein. Die Assimilation dieser Stämme wird einfacher als die der anderen Kurden sein; vorrangig und mit aller Dringlichkeit müssen Internatsschulen eingerichtet werden, um so bald als möglich eine Vermischung mit dem Kurdentum zu verhindern“.

An anderer Stelle heißt es: „Denjenigen, die Dêrsim verlassen wollen, sollen Gebiete westlich von Sivas zugewiesen werden, dort können sie sich niederlassen.“

Hasan Reşit Tankut, seit 1927 Autor mehrerer, im Auftrag der Regierung verfasster Berichte zur Kurdenfrage, wies in einem nach dem Putsch von 1960 erschienenen Report darauf hin, dass eine Besiedlung Dêrsims durch türkische Umsiedler nicht angebracht sei. Stattdessen solle man die „Dêrsimer in Dêrsim ansiedeln, d.h. man solle die Dêrsimer aus den Bergen und den zerstreuten Dörfchen in die Ebene holen“. Er schlägt vor, in Dêrsim Gewerbegebiete zu errichten, den Bau von Schulen zu erweitern. „Die Dêrsimer werden sich schnell entwickeln, sie haben die Veranlagung dazu. Sie werden in kurzer Zeit türkisiert sein, das phonetische System ihrer Sprache entspricht dem der unseren.“

Schlussfolgerung

Zum Schluss ist noch zu sagen, dass nach Kurdistan und anderen Gebieten wieder Dêrsim an der Reihe ist, und wieder sehen wir die Notwendigkeit, an der Durchführung dieses qualvollen Plans zu arbeiten. Es ist dasselbe Szenarium, derselbe Film, aber unsere Instrumente sind effektiver geworden, die Akteure andere. Wie weit wird uns dieses schmutzige und unheilvolle Spiel noch bringen? Wo hat man je etwas Gutes unter Zwang erreicht?

Ich danke Ihnen für Ihr Interesse.“

Berlin, 24. November 2010.

Mehmet Bayrak

Kaynaklar:

[1] Elazığ Halkevi Dergisi, Altan, Haziran-Eylül/1938

[2] die Bedeutung des Arabischen versteht niemand, Türkisch ist verachtet, Kurdisch ist verboten!

[3] Dêrsim Raporu, Orgeneral İzzettin Çalışlar’ın kitaplığından, İletişim Yayınları, 2010, 1. Baskı, s.50-51/ Selim I. Yavuz („der Strenge“), Sultan (seit 1512), * Amasya1467 oder 1470, gest. bei Çorlu bei (Tekirdağ) 22.9.1520; zwang als scharfer Feind der Schiiten die iran. Safawiden 1514 zur Abtretung eines Teils von Aserbeidschan und unterwarf Mesopotamien, Syrien, Palästina und Ägypten (1517), wodurch er auch die heiligen Stätten des Islam unter seinen Schutz nahm. (...) Aus: Brockhaus Enzyklopädie, Bd 20, S. 111.Mannheim 1993.

[4] Zaza: das Kurdische, wie es im griechisch bewohnten Gebiet Dêrsims gesprochen wurde.

[5] Elaziğ Halkevi/ Altan Dergisi. Elazığ, 28 Eylül 1937

[6] Hıdır Göktaş; Kürtler/ İsyan-Tenkil. Istanbul. 1991, S.141

[7] Bayrak, Mehmet: Kürtler ve Ulusal Demokratik Mücadelesi. Ankara. 1993, s. 456