Azad Ronî wurde 1960 in einem kurdischen Dorf im türkischen Südosten Anatoliens als Sohn von Bauern geboren. Bis zu seinem siebten Lebensjahr sprach er wie alle anderen Dorfbewohner auch ausschließlich Kurdisch. Bei seiner Einschulung bekam er die volle Wucht des türkischen Systems zu spüren: die Schulsprache war ausschließlich Türkisch, das Kurdische verboten. Diese Regelung diente dazu, die türkisch-islamistische Ideologie mit ihrem rassistischem Faschismus umzusetzen. Ronî musste, wie vor und nach ihm unzählige Mädchen und Jungen auch, das Türkische, die Sprache der Unter drücker, erlernen.

Bereits in seinem 17. Lebensjahr, er besuchte noch die 2. Klasse des Gymnasiums, veröffentlichte er seinen ersten Roman: „Ich bin nicht gestorben“ („Ölmedim“).

Nach dem Abitur studierte Ronî Soziologie an der Ägäis-Universität in Izmir. In dieser Zeit wurde er Zeuge der „Tariş“ genannten Vorbereitungen einer gewaltsamen Machtübernahme durch das türkische Militär. Wegen eines Zeitungsartikels wurde ihm gemäß der neuen Rechtsprechung „Propaganda für das Kurdentum“ vorgeworfen, so die Anklageschrift.

Im Mai 1980 verließ Ronî seine Heimat. Wie viele seiner Landsleute musste er Hals über Kopf fliehen, zu groß war die Gefahr, selber Opfer der zahllosen Ermordungen, Verschleppungen zu werden. Drei Monate später riss tatsächlich das Militär die Macht an sich - somit war eine Rückkehr in die Heimat unmöglich geworden.

Gemeinsam mit sechzehn weiteren Geflohenen, unter ihnen Haydar Işık und Yılmaz Güney, wurde er aus politischen Gründen ausgebürgert. (Tatsächlich betraf diese Ausbürgerungsaktion insgesamt vierzehntausend türkische Bürger!) Allerdings löste ein solcher Akt eines terroristischen Staates eher Freude als Trauer aus.

Seit 1988 besitzt Azad Ronî die deutsche Staatsbürgerschaft. Er lebt in Berlin und ist Vater zweier Kinder.

Azad Ronî sagt von sich, er habe, „genau wie Maxim Gorki, nie eine Schule besucht. Eine Schule, in der von der ersten Unterrichtsstunde an nur Herrschaftspropaganda betrieben wird, in der der Geschichtsunterricht der Verbreitung von Lügen dient und die Schüler einer permanenten Gehirnwäsche unterzogen, mit Hass auf andere Ethnien und Religionen geimpft werden und in der jegliche Erziehung unter Maßgabe einer turko-islamistischer Ideologie fungiert, verdient diesen Namen nicht. Eine Schule, die ihre Schüler, die sich diesem Diktat verweigern, die nicht konform sind mit den faschistischen Regeln, die nicht bereit sind, die rassistischen Marschlieder zu singen, die diese Schüler grausam bestraft, verdient diesen Namen nicht.

Erst mit dem Studium begann die Phase des wirklichen Lernens für Ronî. Begierig las er die Bücher, die man ihm in der Schule vorenthalten hatte. Gleichzeitig schrieb er Bücher, Aufsätze und Artikel. Er durchlief, wie Maxim Gorki, die „Schule des Lebens“.

Nie hat er eine Schule, die diesen Namen verdient, besucht. Diese türkischen „Schulen“ waren Produktionsstätten des Rassismus und der Ideologie der Assimilation, in denen die Gehirne der Schüler beeinflusst werden sollten.

Das türkische Erziehungssystem zielt auf die Herausbildung von faschistischen Individuen, die alles Fremde, fremde Gruppen, fremde Religionen ablehnen und vernichten.

Das Kind, das bis zu seinem siebten Lebensjahr kein Türkisch konnte, stellte sich, als es Jahre später die Schule verließ, zunächst auch nur zögernd, die Frage: „Bin ich Türke? Oder doch Kurde?“ Es hatte erkannt, dass seine Persönlichkeit, seine Sprache und Kultur ein Spielball der Willkür geworden waren.

Nachdem Ronî seine Heimat verlassen hatte, begriff er das ganze Ausmaß der Lügen, mit denen der türkische Staat seine Bürger indoktriniert. Dass er nicht auch Opfer der perfekten Lügenindustrie wurde, verdankt er einzig der Tatsache, dass er fünfzehn Jahre lang weder die türkische Presse, noch andere türkische Medien verfolgte. Wenn er heute als Gast im Wohnzimmer einer türkischen Familie sitzt und gezwungenermaßen sein Blick auf die Schlagzeilen einer herumliegenden türkischen Tageszeitung fällt oder nebenan eine türkische TV-Sendung läuft, dann kann er jedes Mal überdeutlich sehen, wie umfassend und überaus erfolgreich die Maschinerie arbeitet und die Menschen mit ihren Lügen einlullt.

Wenn er dann seine Gastgeber fragt: „Wie könnt ihr euch diese Lügen nur anhören?“ , bekommt er zur Antwort: „Wir haben nicht gewusst, dass das alles Lügen sind.“

1977 fand die Veröffentlichung von „Ich bin nicht gestorben“ statt. Seitdem sind viele Veröffentlichungen hinzu gekommen, unter anderem 1985 ein Band mit Gedichten: „Der große Aufruhr“, dieses Mal schon zweisprachig, auf Türkisch und auf Deutsch. In lyrischer Form wird die Geschichte der Menschheit aufgerollt. Später erschien unter dem Titel „Die Berliner ‚Dersim-1937-38-Konferenz‘ und die Völkermorde an den Kurden“ (ebenso zweisprachig) eine Untersuchung zu den Vorfällen in Kurdistan.

Azad Ronî ist, seit er in Berlin lebt, viel auf Reisen gewesen, so hat er die USA, Kuba, Jamaica, Griechenland, Tunesien, Marokko, Italien und Frankreich besucht.

1989 reiste er in die Türkei, dieses „riesige Freiluftgefängnis“, um die politischen Gefangenen dort zu besuchen und so authentisch wie möglich über sie zu berichten. Obwohl die damalige Anklage wegen „Propaganda für das Kurdentum“ längst niedergeschlagen war und obwohl er deutscher Staatsbürger geworden war, steckte man ihn für sieben Monate in das berüchtigte Gefängnis von Buca (d.i. bei Izmir). Was er dort mitansehen musste, war grauenhaft. Seine Erfahrungen hat er vor einigen Jahren veröffentlicht.

Azad Ronî ist Mitglied des Kurdischen PEN. Nach wie vor arbeitet er in den Bereichen Literatur, sowohl Prosa als auch Lyrik, daneben bearbeitet er immer wieder Themen der Geschichte.